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Warum Schweigen manchmal wirklich Gold ist. Ein Zwischenruf7 min read

16. März 2022

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Warum Schweigen manchmal wirklich Gold ist. Ein Zwischenruf7 min read

Das Theater zwischen dem BFC Dynamo und der BSG Chemie geht weiter. Berlins Trainer Benbenneck dreht die Eskalationsstufe immer noch ein bisschen weiter, zündelt und gießt weiter Öl ins Feuer. Dabei möchte man dem Mann doch zurufen: „Halte ein, und erinnere dich deiner eigenen Worte!“

Denn nach dem Hinspiel des BFC gegen Chemie im Herbst 2021 war es eben jener Christian Benbenneck, der wortwörtlich gesagt hatte: „Ich kann nur sagen: Wenn wir irgendwo auftauchen, wenn ich am Rand stehe, zum Beispiel in Cottbus, geht mir das genauso. Da kriegt man auch die ganze Zeit irgendwas gesagt. Das ist so ein Fußball-Ding. Das ist nicht schön, aber es ist so.“ Er bezog sich auf die Beleidigungen, denen sich sein Kollege Miro Jagatic von Chemie ausgesetzt sah und die diesen – für ihn sehr ungewöhnlich – komplett fassungslos gemacht hatten. Von einem BFC-Fan soll ihm der Satz „deine Sippe gehört vergast“ zugerufen worden sein – neben anderen „Nettigkeiten“, die man angesichts dieser Ungeheuerlichkeit aber getrost als vernachlässigenswert einstufen darf.

Neben Affenlauten gegen einen farbigen Spieler der BSG Chemie und einem Hitlergruß wurde die Ersatzbank der Leutzscher mit diversen Materialien, unter anderem mit Steinen gefüllten Bierbechern beworfen. Die Quittung für den BFC: Der Verein wurde vom Sportgericht des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) vor allem für das massive Fehlverhalten einiger Fans sowie einen nicht ausreichenden Ordnungsdienst mit einer Geldstrafe von 10.000 Euro und einem Geisterheimspiel auf Bewährung verurteilt.

Der BFC sah das nicht ein, ging in Berufung – die bis heute nach eigenen Angaben nicht vom Tisch sei – und betrieb bis zum heutigen Tag Geschichts-Umarbeitung. Nachdem nach energischem Aufruf innerhalb der Fanszene die üblichen beweiskräftigen Videos aus dem Fanblock in den Social Networks entfernt wurden, war plötzlich von „Provokationen seitens Chemie-Spielern“ die Rede, die zu den Material-Würfen aus dem Block geführt hätten. Die Krone eines gestörten Wirklichkeitsbildes setzte dem Geschehen indes die nun erzählte Story vom „versuchten Blocksturm“ der Chemiefans auf, mit der pünktlich vor dem Rückspiel erneut die Tatsachen verdreht wurden. Fleißig wird diese Sichtweise gepflegt, ungeachtet der Tatsache, dass der BFCer, der etwas auf sich hält, den bloßen Versuch eines ‚Sturmes‘ – falls es ihn denn wirklich gegeben hätte – mit achselzuckender lässiger Arroganz kommentiert hätte.

Und das wohl auch zu Recht, denn bei allem Aufblühen und Stärke der chemischen Fanszene ist diese für eine eher realistische Sichtweise der Dinge bekannt. Ein „Blocksturm“ ist deshalb auch eher der lauwarme Versuch, die Tatsachen einmal mehr zu verdrehen. Was tatsächlich geschah: nachdem die Spieler der BSG erkennbar auch für den bereits zum Großteil abgewanderten Chemie-Block von BFC-Fans beworfen wurden und es sichtbare Unruhe an der Bank gab, kehrten etliche Leipziger Fans in den Block zurück und begannen an die Zäune zu springen. Die Polizei war bereits im Anmarsch, die bis dato ungehindert am Chemieblock pöbelnden zwei Berliner durften sich unbehelligt entfernen. Nun kennen wir die Folklore der Poserei seit Jahrzehnten, und wenn man im sachlichen Gespräch Vertreter beider Seiten fragen könnte, wie hoch der Grad der Ernsthaftigkeit eines ‚Sturmes‘ gewesen sei, würde man zweifellos nur amüsiertes Grinsen ernten, bestenfalls Mitleid. Undiskutiert sollen an dieser Stelle auch die Sinnhaftigkeit oder gar eventuelle Erfolgsaussichten bleiben, das sollen die Interessierten gern unter sich ausmachen. Fakt ist, der Begriff „Blocksturm“ entspringt der reinen Phantasie und dient allein der Umdeutung der Geschehnisse.

Man ging beim BFC sogar so weit, dass man diese Version als Begründung dafür auftischte, auf die Begleitung der eigenen Fans zum Rückspiel zu verzichten. Man könnte nun die Frage stellen, ob man den eigenen Fans so wenig Verantwortungsgefühl dem eigenen Verein gegenüber zutraut, dass man sie gleich gar nicht dahaben mochte. Die Aussage „Wir-dürfen-uns-nicht-provozieren-lassen“ impliziert ja erkennbar eine Täter-Opfer-Umkehr sowie die damit einhergehende Leugnung der Verantwortung für die Geschehnisse vom September 2021.

Dabei hätte es der BFC eigentlich gar nicht schwer gehabt, angemessen auf die Vorkommnisse zu reagieren. Statt Verniedlichung durch den Trainer in der unmittelbar folgenden Pressekonferenz hätten einige selbstreflektierende Worte zum Kollegen zweifellos krampflösende Wirkung gehabt. Noch schlimmer, dass auch nach Tagen – in denen man Zeit zum Nachdenken und Reflektieren hatte – keine wesentlich geänderte Position in den Stellungnahmen des BFC auftauchten.

Stattdessen: Immer wieder Öl ins Feuer, bis hin zu peinlichen Pseudo-Begründungen, die den nicht ganz der vernebelten Kommunikation ergebenen eigenen Fans, die es zweifellos gibt, die Schamesröte ins Gesicht treiben muss. Nebst eines Trainers, der sich selbst karikiert und als eine Art „Rächer der Verfolgten“ seinen Soloauftritt in Leipzig inszenierte. Kein freundliches Wort, kein Versuch einer äußerlichen Entspannungshaltung, mit der man bekanntlich Konflikten den Druck nimmt, Boykott der Pressekonferenz  – also immer voll auf die Zwölf. Vom „miesen Platz, für den man sich schon wirklich Mühe geben muss“ – also einer gepflegten Unterstellung, Chemie hätte zum Nachteil des Gegners extra seinen Platz ruiniert – bis zur Nachschau nach Abpfiff, als in verschiedenen, sich widersprechenden Versionen nun plötzlich Benbennek selbst beleidigt worden sei.

Beim MDR war dazu zu lesen: „Der Coach begründete sein Fernbleiben gegenüber den Chemie-Verantwortlichen, dass er während der Partie von Zuschauern beschimpft und beleidigt worden sein soll. Die in unmittelbarer Nähe der Trainierbank postierte MDR-Reporterin konnte derartige Rufe jedoch nicht bestätigen. Auch das Schiedsrichter-Team hatte diesbezüglich nichts vernommen, machte auch keine entsprechende Bemerkung im Spielberichtsbogen.“ Im „Berliner Kurier“ las sich das am nächsten Tag dann noch wieder anders: „Auch der Coach selbst war Ziel der Krakeler: Während des Spiels war hinter unserer Bank im Block alles gut. Normale Fans, die wollten unserem Busfahrer sogar ein Bier ausgeben. Aber aus der Kurve wurde auch ich als ‚Fotze‘ und ‚Hurensohn‘ beleidigt.“

Nun kann man guten Gewissens natürlich nicht bestreiten, dass es Rufe wie diese gegeben haben kann, und wir brauchen auch keine Feingeister zu sein, um festzustellen, dass das Niveau unterirdisch und Bezeichnungen wie diese komplett durch sind. Dafür nun seitens Herrn Benbennecks wiederum einen Generalangriff gegen Chemie auszurufen, passt ins Bild. „Dieser Verein will immer so anders sein, spricht bei jeder Gelegenheit von Toleranz, hat eine Regenbogenfahne im Block – und dann das. Diese Heuchelei ist für mich unerträglich. Die sind kein Stück besser als andere“, sprach er dem Reporter des „Kurier“ in den Block.

Einzelne in die Haftung nehmen für alle – dahinter steckt – man muss es vermuten – Kalkül. Geschenkt, dass es gar keine Regenbogenfahne im Chemieblock gab, aber wahr ist, dass „dieser Verein“ nicht nur anders sein will, sondern auch ist. Dazu gehört auch das kleine Beispiel, wie Chemie-Trainer Jagatic ein halbes Jahr zuvor mit Beleidigungen (wir erinnern uns, es ging unerträglicherweise ums ‚vergasen‘ seiner Familie) umgegangen ist. Bei RBB24 war zu lesen: „Eine pauschale Kritik an den Heimfans wollte Jagatic nicht üben. ‚Der große Teil der ganzen BFCer sind Herzblutfans, die würden sich hüten, so was zu sagen.‘“

Man ist geneigt, dem BFC zuzurufen: Haltet ein! Stoppt das! Doch das würde dem Vorgang wohl nicht gerecht. Denn kein Trainer der Welt bestimmt die Außendarstellung seines Vereines allein oder gegen den Willen der Vereinslenker. Es fällt schwer, zu glauben, dass es da keine Stimme der Vernunft gibt, die reflektierter an die Sache herangeht.

Der Schaden ist nun da, das Verhältnis zwischen den Vereinen darf als zerrüttet gelten. Genau die Saat für das, was keiner will, denn oft liegen in solchen Ereignissen Gründe für unschöne Ausschreitungen und Auseinandersetzungen.

Denn dass sich die Fanszenen der Vereine so entspannt begegnen wie vor vier Jahren, als 850 BFCer dem 1990 in Leutzsch von der Polizei getöteten Mike Polley gedachten und die grün-weiße Gegenseite respektvoll im Hintergrund das Ihre tat, um den Tag würdig ablaufen zu lassen, gehört wohl der Vergangenheit an. Es ging entspannt weiter, als ein beachtlicher Mob in Berlin zum Auswärtsspiel auftauchte und dem BFC-Anhang ehrlichen Respekt abnötigte. Zu dieser entspannten Haltung trugen auch TV-Interviews bei, in denen Chemie-Kenner das Stasi-Image des BFC nach 30 Jahren nicht mehr in den Vordergrund trugen, sowie persönliche Kontakte einiger „Alten“, die in eine Einladung zum Besuch gipfelten, zu dem es aufgrund des plötzlichen Todes von Jan Meurer, einem Involvierten, nicht mehr kam. Und nun diese Stimmung, die nicht mehr missgestimmt, sondern schon zum Zerreißen angespannt bezeichnet werden muss. Überflüssig, dumm, und von einer Minderheit geschürt. Inclusive leider auch offizieller Vertreter.

Die stumpfen Stereotype, die Vergangenheit betreffend, sind nun neuen gewichen. Geschichte wiederholt sich eben doch.