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Interview mit Chemie-Käpt’n Stefan Karau: „Wir kommen wieder!“8 min read

11. Juni 2018

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Interview mit Chemie-Käpt’n Stefan Karau: „Wir kommen wieder!“8 min read

Chemie Leipzig: umjubelter Aufsteiger in die Regionalliga, tragischer Absteiger, sächsischer Pokalsieger, Fanliebling sowieso. Nach der Saison ist vor der nächsten Spielzeit. Ein Gespräch mit „El Capitano“ Stefan Karau (32).

Stefan, wie enttäuscht sind Sie nach dem Abstieg noch immer?

Stefan Karau: Es tut schon noch weh, aber wir wissen, dass wir wieder kommen. Es ist ärgerlich, dass wir in der Rückrunde das siebent-beste Team waren, dass es vier Absteiger gibt und es uns so mit erwischt hat. In den letzten fünf Jahren wären wir mit der Punktzahl nicht abgestiegen, im letzten Jahr gab es gar keine Absteiger. Das wurmt schon. Aber wir sind Chemiker, das wirft uns nicht um.

Hat man die Regionalliga unterschätzt?

Vielleicht haben wir es uns einfacher vorgestellt, es war aber klar, dass da an den Stellschrauben gedreht werden muss. Die jungen Spieler, die zu uns kamen, konnten noch nicht gleich helfen, dann fielen innerhalb einer Woche zwei Offensiv-Säulen des Teams mit Bury und Bunge aus, dazu das schwere Auftaktprogramm – das war nicht zu kompensieren. Auch Yajima, der spät hinzu kam, musste erst seinen Platz finden.

Und dann gleich drei Knaller zum Auftakt …

Ja, da war erst das Derby gegen Lok. Ich war tierisch angenervt, pappesatt nach dem Spiel, weil wir so verhalten gespielt haben. So seltsam lasch, wir hatten keine echte Torchance. Vielleicht kannten das viele unserer Spieler noch nicht, vor so einer Kulisse und einer aggressiven Grundstimmung aufzulaufen …

Dann ging es vier Tage später nach Cottbus …

Das war eine andere Welt. Bis zur Halbzeit gings, dann bekamen wir die gelb-rote Karte und die haben sich in einen Rausch gespielt. Vom Feeling her war das Wahnsinn, als wir durch den Tunnel kamen, der Rasen nochmal gewässert, das Flutlicht ging an. Nach dem 0:4 sagte Lude (Nicolas Ludwig, die Red.) zu mir, guck dir das nochmal genau an, so schnell kommen wir nicht mehr hierher! Cottbus hatte ein ganz anderes Fitnesslevel, die können trainieren, wann und was sie wollen, wir müssen immer alles in eine Einheit packen. Am Tag des Spiels haben manche von uns noch halbtags gearbeitet, dann die zweieinhalbstündige Busfahrt … Das ist kein Jammern, das sind die realen Unterschiede. Und so ist das ja bei vielen Truppen in dieser Liga. Da kamen wir einfach mal von einem ganz anderen Level.

Im dritten Spiel dann aber der Beweis, dass man mithalten kann?

Ja, gegen Babelsberg ging es plötzlich. Wir hatten lange geredet vor dem Spiel, was wir besser machen wollen, sauberer zu spielen usw. Der Torschrei nach Manu Wajers Tor war Wahnsinn, es war wie eine Befreiung.

Aber es ging durchwachsen weiter?

Allerdings. In Bautzen unterlief mir ein Fehler, der zum Gegentor führte, aber dort mussten wir trotzdem noch gewinnen.

Wie tief sitzt so ein Patzer, wie geht man damit um?

Das saß ein paar Tage, ich habe mir das paarmal im Video angeschaut, dann war das erledigt. Gegen Fürstenwalde im nächsten Spiel hat es dann Lars Schmidt getroffen, der einen Fehler machte. Da führen wir 1:0, kriegen zwei Sonntagstore innerhalb von fünf Minuten und verlieren das Ding – unfassbar. Aber jeder Fehler wurde sofort bitter bestraft.

Es folgte der zweite Sieg in letzter Minute gegen Luckenwalde sowie das bittere 1:4 in Meuselwitz.

Wo wir auch führen und eine tolle erste Halbzeit zeigten. Danach zwei defensive Glanzleistungen gegen Nordhausen beim 0:0 und beim 1:1 in Halberstadt, das 1:0 gegen Victoria Berlin daheim – da standen wir gut. Und wenn wir dann beim BFC in Führung gegangen wären, wer weiß, dann hätten wir auch dort was holen können. Aber wir haben einen Elfer verschossen und eine hundertprozentige Chance nicht genutzt und es ging 0:3 aus. Das zog sich wie ein roter Faden durch die Saison. Aber es war trotzdem ein geiles Erlebnis. So viele Fans dort am Start, diese Stimmung – deshalb habe ich mich auch nicht auswechseln lassen, obwohl ich mir zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen die Nase gebrochen hatte.

Altglienicke brachte im Spiel danach beim 1:1 Ex-Nationalspieler Sanogo an den Start …

Da sieht man die Unterschiede. Plötzlich hast du da einen ehemaligen Champions League-Spieler, zwei Jahre zuvor haben wir noch in Taucha und in Markkleeberg gespielt.

Und dann vier Tore gegen Zwickau im Pokal – was war da los?

Keine Ahnung, das habe ich auch nicht verstanden. Da haben wir richtig dagegen gehalten, es lief eben gut.

Es folgte eine 0:3-Demontage beim BAK, ein 0:1 daheim gegen Neugersdorf und das Rückspiel bei Lok.

Da hieß es, Hauptsache nicht verlieren, was ja auch mit dem 0:0 geklappt hat. Aber nach vorn haben wir da auch nicht viel gerissen. Aber dafür, dass es eine englische Woche für uns war und für die Widrigkeiten dort, war es in Ordnung.

Sie meinen die Anreise?

Ja, das auch, als unser Bus nicht durchkam und wir unsere Taschen und das Equipment zu Fuß durch unsere Fans getragen haben. Aber das war eher geil. Vor allem aber die Unterbrechungen, als niemand so recht wusste, wie es weitergeht.

In der zweiten Halbserie gehörte Chemie zu den Guten, belegte in der separaten Abrechnung den 7. Platz. Wie kam’s?

Die Offensivzugänge Merkel und Stelmak haben uns schon sehr geholfen. Wir haben dazu gelernt, einfacher gespielt, hatten vorn Anspielstationen. Yajima wurde immer stärker, Bury kam zurück. Wir hatten dann eine richtig starke Achse mit Yajima, Bury und Merkel. Schade, dass alle drei weg sind, aber das ist nun mal so.

Warum ist Chemie dann trotzdem abgestiegen?

Weil wir trotzdem zu wenig Tore geschossen haben. Es waren zu viele Remis, wir haben zu viel liegen gelassen. Wenn ich an das 0:0 in Altglienicke denke! Viermal Aluminium, davon dreimal Innenpfosten. Wenn wir dort gewinnen, steigen wir auch nicht ab. Auch BFC und BAK haben wir besiegt, gegen den Staffelzweiten Nordhausen zweimal remis gespielt. Aber hätte, wenn und aber …

Dafür gab es den Pokal. Wieso hat es denn ausgerechnet da geklappt?

Vielleicht, weil da keine Tabelle zählt, weil die Tagesform entscheidet. Da konnten wir uns gut fokussieren, weil wir nach dem Sieg gegen Zwickau und dem gleichzeitigen Ausscheiden von Chemnitz wussten, dass nur noch Teams aus unserer Liga dabei sind. Das Halbfinale gegen Auerbach war ein emotionales Highlight, 2000 Chemiefans im Stadion, die Anspannung, die riesige Freude. Die Ankunft in Leutzsch wird keiner jemals vergessen, der dabei war. Unfassbar. Und beim Finale gab es auch diesen einen Moment, den Du nie vergisst. Wir standen zum Einlauf bereit, mussten aber wegen der ARD-Übertragung noch warten. So konnten wir fünf Minuten lang die Wahnsinnsstimmung, die Pyros, die Choreo und die Gesänge erleben – Wahnsinn. Das meiste Glück im Pokal hatten wir kurioserweise in der ersten Runde in Zeißig, als wir nach 60 Minuten hinten lagen. Da mussten wir uns ganz schön straffen.

Fans Fanbuch BSG Chemie Leipzig Foto: Christian Donner 21.5.2018 Pokalfinale BSG Chemie - Neugersdorf 1:0

Vor der Saison gab es auch Zweifler, die Ihnen als Routinier nicht mehr zutrauten, das Niveau der Regionalliga zu halten.

Das habe ich auch schon im Jahr zuvor in der Oberliga vernommen. Na klar gab es auch für mich) aber nicht zum Einsatz. Wechselte dann Anpassungsschwierigkeiten, aber wir haben uns dann alle gesteigert. Seit wir aus der Landesliga aufgestiegen sind, habe ich neun Kilo abgenommen. Gerade wenn man älter wird, ist wichtig, dass man die Spritzigkeit nicht verliert, damit man mithalten kann.

Wie geht es weiter – der Wiederaufstieg ist ja erklärtes Ziel. Realistisch?

Wir haben unsere besten Spieler verloren, das Loch muss erst mal gestopft werden. Aber wir werden schon oben mitspielen und angreifen.

Sie selber haben ja gerade ihren Vertrag verlängert. Wieso?

Das ist mein Verein, ohne Wenn und Aber. Das ist tausendmal wichtiger als ein paar Scheine mehr woanders. Hier ist meine Familie, hier ist mein Herz. Allein die Pokalfeier mit unseren Fans und den Ultras – unbezahlbar. Und welcher Spieler kann schon von sich behaupten, in der 4. und nun eben 5. Liga vor so vielen Fans zu spielen?

Das scheint aber nicht jeden Spieler zu beeindrucken.

Ja, es gibt eben ein paar, die wollen mit dem Fußball ihr Leben bestreiten, die gehen dann weiter zum nächsten Verein. Das ist normal, das ist eben so. Aber es gibt schon ein paar Spieler, die diesen Verein wahnsinnig lieben, wie Benny Schmidt oder Marco Trogrlic und ein paar andere. Und es macht schon auch was aus, wenn man auf der Tribüne nicht nur Fans, sondern auch Freunde sitzen hat.

Das klingt nach einem echten Liebesbekenntnis …

Das ist es auch. Diese Fankultur gibt es in keinem anderen Stadion in Deutschland, mit den Fans und dem ganzen Drumherum. Diese Mischung aus englischem und italienischen Flair, das englische vom Stadion, das italienische von den Gesängen, gibt es doch nirgendwo. Und in Richtung Norddamm zu spielen, wo unsere Fans stehen, das macht einfach Gänsehaut.

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Stefan Karau, geboren in Torgau, spielte in Süptitz, bei Blau-Weiß Torgau, kam 2000 in die C-Jugend des FC Sachsen (Trainer: Leitzke/Flathe, Hagen Schmidt, Hammermüller, Schößler), stieg in die A-Jugend-Bundesliga auf, kam dann in den Kader der ersten Mannschaft (mit Garbuschewski, Watzka und Boltze), kam unter Trainer Wolfgang Frank aber nicht zum Einsatz. Wechselte dann nach Eilenburg, wo er Oberliga spielte und gegen den FC Sachsen den Ex-Bundesliga-Stürmer Guie-Mien ausschaltete. Zwei Jahre später ging es zum VfL Halle, wo er sieben Jahre kickte. 2014 Rückkehr nach Leutzsch. Publikumsliebling wegen seiner Fannähe und seines knallharten Einsatzes auf dem Rasen.