Reisen

Durch die Rockies 076 min read

26. June 2008

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Durch die Rockies 076 min read

Der höchste Punkt unserer Reise bei 3686 Metern.
Oben am Independent Pass ist es einsam. Nur die wenigsten Autofahrer steigen hier, wenige Kilometer vor dem Ski-Paradies Aspen, aus ihrem Wagen. Schneetreiben versperrt die Sicht, die eindrucksvolle Bergwelt ist wolkenverhüllt. In 12.095 Fuß Höhe –das entspricht 3687 Metern – ist es heute äußerst ungemütlich. Die weißen Flocken verkleben das Visier, die beißende Kälte kriecht durch die sonst so verlässlich wärmespendenden Klamotten: eine Motorradtour durch die Rocky Mountains hat auch ihre Schattenseiten.

Abenteuerlust und die herrlichen Landschaften der Rockies hatten uns zu dieser Tour von fast 6000 km Länge inspiriert. Startend in Salt Lake City, wurden die Bundesstaaten Utah, Idaho, Wyoming, Montana, South Dakota, Nebraska und Colorado zur Bühne einer grandiosen Motorradfahrt. Das Programm: Überwältigende Naturerlebnisse und Tierwelt in unerlebter Nähe und Vielfalt in Yellowstone, Bighorn Canyon, Black Hills und Rocky Mountains National Park. Echtes und gestelztes Wildwest-Flair – geschäftiger Trubel in den originalgetreu restaurierten Touristen-Orten Cody, Jackson Hole und Deadwood, während in den abseits liegenden alten Bergbau-Nestern Verfall und Trostlosigkeit regieren. Am beeindruckendsten aber waren die Begegnungen mit den alternativ-verrückten, spontanen, witzigen und vor allem aufgeschlossenen Menschen. Wir denken immer, wir machen verrückte Sachen – das ist aber gar nichts gegen die Typen, die wir unterwegs treffen.

Da ist zum Beispiel Lee. Er ist in Texas Pastor einer der vielen Kirchen, die es in den Vereinigten Staaten gibt – die Amerikaner pflegen ihre Religiosität. Die „Weltweite Kirche Gottes“ hat 64 000 Mitglieder in fast 900 örtlichen Gemeinden in 90 Ländern der Erde. Und da es üblich ist, dass die Pastoren auch in anderen Gemeinden predigen, verbindet Lee Hobby und Beruf und reist mitsamt Gattin Helen und seiner Harley Fatboy durchs Land. Stolz zeigt er seinen Tacho her und berichtet von 106 000 Meilen in fünf Jahren und dass er jetzt auf dem Weg zu einem Kollegen in Colorado sei, wo er eine Predigt halten will. Im kommenden Jahr besucht er Deutschland, auch dort gebe es acht Gemeinden seiner Kirche. Und da es sich gemeinsam besser reist, begleitet ihn ein Freund samt Gattin auf einer Honda Goldwing.

Im Kernland der Rockies, zwischen Denver und Salt Lake City, da, wo die 4000er Gipfel im Dutzend auf uns herunterblicken, finden wir den „Spirit“ des Wilden Westens. Zwischen Red Hill Pass (3046 m) und Monarch Pass (3448 m) queren wir die Region South Park, eine Hochebene von fast 2500 Quadratkilometern. Trotz der 3034 Meter Höhe, in der die alte Goldgräberstadt liegt, ist es meist trocken. Die mächtigen Gipfel des Rocky Mountains-Hauptkamms fangen im Westen den Regen ab. So müssen die Ländereien der Ranches, von denen viele mit ihren schönen Blockhäuser an alte Zeiten erinnern, künstlich bewässert werden. Vom Goldrausch 1859 sind 34 historische Gebäude übriggeblieben, die restauriert auf Touristen warten. Nur 400 Einwohner sind Fairplay geblieben, ein tristes Nest, in dem der Wind empfindlich kalt durch die vielen Schichten unserer Schutzkleidung pfeift.

Und genau hier treffen wir, wie aus einer untergegangenen Welt entstiegen, die echten Nachkommen jener Gold- und Silbersucher, von denen die meisten doch außer harter Arbeit und unmenschlicher Entbehrungen nichts fanden. Natürlich suchen die Enkel der Goldgräber kein Edelmetall mehr. Rick Ramstetter betreibt eine Kunst-Galerie ganz in der Nähe. Gegen Rick und seine Freunde sieht Keith Richards von den Stones wie glattgebügelt aus.

Herrliche Menschen und skurrile Typen - das Salz in der Suppe...

Tiefe Falten im zerfurchten Gesicht, weiße Haare, Zopf und Bart, verwegene Lederkappen mit Fell statt eines Helmes auf dem Kopf. Trotz der Kälte, die uns zu schaffen macht, tragen die älteren Damen und Herren nur ihre dünne Lederkluft. Rick erzählt, wie einsam es im Winter hier oben ist, und dass es im Sommer wegen der 2500 Höhenmeter kaum auszuhalten ist vor Hitze. An Freizeitangeboten herrsche kein Mangel, die Berge bieten Vielfalt pur: Mountainbiking, Trekking, Wandern und auch Wildwasserrafting sind beliebt. Er und seine Freunde aber schwingen sich am liebsten auf die Harleys und knattern los. So wie jetzt – das Ziel bleibt unbekannt, man lässt sich erst einmal treiben. Mit einem Übernachtungstipp für Gunnison, unserem Etappenziel am Abend, verabschiedet sich die verwegene Meute und braust davon.

Die gemieteten Harley-Davidson E-Glide und Honda Goldwing gehören zu den ausladensten und größten Zweirädern, mit denen man auf Straßen unterwegs sein kann. Auf den bequemen Tourer-Maschinen sind auch weitere Entfernungen ohne Qualen zu leiden möglich. Ganz billig ist das Mieten nicht, aber die eigene Maschine in die Staaten zu holen, kostet auch. Bis drei Wochen Mietkosten sind günstiger als der Transport, lautet die Faustregel. Erst bei längerem Aufenthalt macht es Sinn, das eigene Motorrad über den Atlantik zu transportieren. Auf der Fahrt durch die Wildwest-Bundesstaaten erleben wir von 30 Grad im Yellowstone bis minus fünf Grad bei Aspen alle Temperatur-Extreme. Aber wir sind gerüstet: Thermo-Unterwäsche, Windbreaker und obendrauf die Army-Jacke mit Fell-Innenleben – so lässt es sich aushalten! Das größte Problem stellt ohnehin der wenige Platz dar. Drei Wochen auf zwei Rädern unterwegs – da muss alles Überflüssige daheim bleiben. Die Ansichten über die Definition des Entbehrlichen sind natürlich unterschiedlich, aber am Ende passt alles in die Harley-Koffer und in eine oben aufgeschnallte Gepäckrolle. Man kann unterwegs ja auch mal was durchwaschen…

Keine Seltenheit - Bisons on the street.

Wir absolvieren zwischen 150 und 300 Kilometer täglich und können so ausreichend beiden Hobbies frönen: dem Fahren und dem Entdecken. Die herrlichsten Strecken genießen wir in den herbstlich angemalten „Black Hills“. Von der kleinen Stadt Keystone, 60 Meilen östlich von Sturgis gelegen, geht es am Nationalmonument Mount Rushmore vorbei in die vom „Indian Summer“ geprägten Wälder. Die Köpfe der Präsidenten Washington, Jefferson, Lincoln und Roosevelt grüßen noch einmal kurz auf der Ferne, dann geht es hinein in den Custer State Park. Auf der 29 Kilometer langen Wildlife Loop Road stehen die Chancen, echte Bisons zu sehen, am besten. Schließlich lebt hier die mit 1500 Tieren zweitgrößte Herde der USA. Die dunklen zottigen Tiere bilden vor dem Hintergrund der weiten Prärie einen eindrucksvollen Anblick. Kaum zu glauben, dass diese mächtigen Tiere schon einahe ausgerottet waren! Mittlerweile hat sich die Population so gut erholt, dass im Oktober die Tiere zusammen getrieben werden, um die überzähligen Tiere auszusondern. Die werden dann verkauft – eine Einnahmequelle, aus der sich der Park zu 20 Prozent finanziert. Auch wir begegnen der Herde und unserem speziellen Exemplar, dass genau vor uns in aller Gemütsruhe die Straße quert. Bisons stehen unter Schutz und seit der Mensch es nicht mehr jagen darf, kennt es keine natürlichen Feinde.

Weiter östlich stoßen wir auf die Mammoth Site, eine der weltgrößten Mammutfundstellen. Ein Stück Urgeschichte erzählt die eiszeitliche Grabstelle, in der über 50 Mammutskelette in teilweise hervorragendem Zustand gefunden wurden. Die Ausgrabung ist längst nicht beendet, und so sieht man jedes Jahr im Juli die Archäologen mit jungen Studenten gemeinsam geduldig graben und pinseln, vermessen und fotografieren. Die Grabungen werden – wie so vieles in den Staaten – privat finanziert und sind vom Spendenaufkommen abhängig.

Hier treffen wir einen weiteren Erlebnishungrigen. Deryl aus Arkansas ist samt Freundin, Goldwing und Anhänger zu einem Kurztrip unterwegs. „Kurz“ heißt bei ihm, mal eben innerhalb einer Woche 5000 Kilometer abzureißen. „Das machen wir jedes Jahr“, versichert der gebräunte Motorradfreak. Zuletzt hatte er mit seinen Brüdern einen Trip nach New York unternommen. In zehn Tagen 900 Kilometer. „Das macht Riesenspaß, so erleben wir viel und haben uns noch lange was zu erzählen“, versichert uns Deryl, ehe er weiterbraust. Jeder reist auf seine Weise…

Auch für uns ist nach 6000 Kilometern Schluß. Allerdings haben wir uns dafür 24 Tage Zeit gelassen. Eindrücke sind es trotzdem fast zu viele, der Speicher im Fotoapparat und im Gehirn ist randvoll. Grund genug, die nächste Tour zu planen und irgendwann zurückzukehren.

 

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