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Kuba im Wandel – was tut sich?6 min read

5. Mai 2015

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Kuba im Wandel – was tut sich?6 min read

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Die Annäherung zwischen Kuba und den USA bewegt die Menschen, beflügelt die Phantasien und lässt Träume zu, die bis vor kurzem völlig undenkbar schienen. Unser Autor Jens Fuge ist vor wenigen Tagen von der Karibikinsel zurückgekehrt und sagt: Alles ist anders, obwohl sich nichts wirklich geändert hat. Noch nicht. Aber man rüstet sich.

Die Nachrichten sind wenig erbaulich für die nach guten Nachrichten dürstenden Kubaner. Am gleichen Tag, als die USA den Inselnachbarn von der Liste der Terror fördenden Staaten strich, titelte das Zentralorgan „Granma“ am 16. April: „Socialismo irrevocable“. Der Sozialismus ist unwiderruflich. Nicht, dass jemand auf dumme Gedanken kommt. Immerhin haben auch viele Leute im jetzigen Polit-Status etwas zu verlieren auf Kuba. Allein dem Militär gehören Fluglinien, Busunternehmen, Hotels, Fabriken und vieles mehr. Milliardenwerte. Das gibt man nicht einfach so hin. Und schon gar nicht dem Klassenfeind. Noch stehen sie, die Panzersperren rechts und links der Autobahnen, mit denen Landungen feindlicher Flugapparate auf kubanischen Straßen verhindert werden sollen. Die Bauern in der näheren Umgebung haben allesamt Telefon – aus gutem Grund. Kalter Krieg zum anfassen. Nix Museum! Erst vor wenigen Tagen, am 1. Mai, wehten sie wieder, die hunderttausenden Fahnen, mit denen der Kampftag der Arbeiter begangen wird. Ein Ritual, auf das trotz des kalten Hauches des Kapitalismus, der über die Insel weht, nicht verzichtet wird. Im Schatten der Tribünen, an denen die Werktätigen pflichtgemäß vorüberziehen, zählen die Unternehmer die Tageseinnahmen. Sie machen Profit als Taxifahrer, Restaurantbesitzer, Handy-Doktoren, Computerspezialisten und Handwerker. Sie verdingen sich als Englischlehrer, Fahrradmechaniker und Tätowierer. Alles erlaubt seit fünf Jahren, als der Nation das Wasser wieder mal bis zum Hals stand. Nur, dass der pragmatische Raul Castro nun das Sagen hatte und freie Berufe zuließ. Zum ersten Mal. Im Sozialismus. Echt.
Seither gibt es Kneipen an jeder Ecke, die primitiven für die Einheimischen, in denen es pappige Brötchen mit Jagdwurst und Käse für ein paar kleine Münzen gibt. Bocadito Jamon y Queso. Eigentlich soll es ja Schinken sein, aber Jagdwurst tuts auch. Echter Schinken ist rar und teuer. Und es gibt gute Restaurants, die Paladares, in denen auch die Touris auf ihre Kosten kommen, und in denen es – je nach Geschick des Eigentümers – sogar eine mehr oder weniger große Auswahl an Speisen gibt. 2000 staatliche Restaurants sollen in den nächsten Monaten und Jahren privatisiert werden – sozialistische Dienstleistung funktioniert eben nicht. Das haben auch die Kubaner kapiert. Scheinbar. Man wird sehen, ob der Ankündigung auch Taten folgen. Denn auch andere Dinge werfen große Schatten voraus. In fünf Jahren soll jeder zweite Kubaner Anschluss an das Internet haben, verkündete die Regierung. Fast undenkbar angesichts der derzeitigen Zustände. Lange Schlangen vor den Internet-Läden, die Monopolist Etecsa betreibt, um an einen Computer mit langsamer Verbindung zu gelangen. Die Hotels nehmen Irrsinnspreise, die selbst den Touristen sauer aufstoßen. 10 CuC, also fast 10 Euro derzeit, für eine Stunde Netz, verlangen Hotels in Varadero und Havanna, 4,50 CuC kostet eine Stunde aber mindestens. Verdammt viel Kohle für einen Kubaner, der im Schnitt noch immer nicht mehr als 15 CuC im Monat verdient, zumindest mit seinem Hauptberuf. Das ist auch der Hauptgrund für mangelnde Effektivität, denn böse Zungen behaupten, dass der gemeine Kubaner lediglich eine Stunde am Tag für seinen eigentlichen Arbeitgeber arbeitet. Den Rest verwendet er darauf, seine Nebengeschäfte zu organisieren. Nicht lachen! Das ist nicht weit hergeholt… Denn irgendwie muss man ja überleben.

Vor allem die jüngere Generation rüstet sich jedoch. Viele sprechen leidlich englisch, denn sie wissen, dass man so bessere Chancen hat. Im Ausland, aber auch in Kuba. Denn wenn die Amis kommen, dann kommen zuerst die Touristen. Ohne Fremdsprachen-Kenntnis kein Job im lukrativen Tourismusgeschäft. Andere hängen in freien Minute am Schmalspur-Internet, belesen sich, suchen nach interessanten Websites. Geschäftsideen werden in heißen Nächten diskutiert, Phantasien heizen die Gemüter an. Wie Kapitalismus wirklich geht, weiß hier niemand, aber eine Idee haben sie alle. Als Mutmacher werden die positiven Beispiele gehandelt, von denen Jeder eines parat hat. Jose aus dem Nachbarhaus mischt im Immobiliengeschäft mit, selbstverständlich illegal, und soll es zu Reichtum gebracht haben, er hat jetzt sogar ein Auto! Und die Cousine zweiten Grades hat gerade ein Restaurant in Havanna eröffnet und soll jetzt schon zehn Angestellte haben…

Die Annäherung zwischen den US-Amerikanern und Kuba wird mit einer Mischung aus Argwohn und Hoffnung verfolgt. Was in der Zeitung steht, glaubt sowieso kein Mensch, die meisten winken nur verächtlich ab, wenn es um die Artikel in der Parteizeitung „Granma“ geht. Die Infos gelangen über die sogenannten „Pakete“ in die kubanischen Haushalte. Wöchentliche Lieferungen über USB-Sticks oder externe Festplatten bringen nicht nur die neusten Soup-Operas und Spielfilme auf den Bildschirm, sondern auch Nachrichten und Dokus. Ungefiltert, ohne Propaganda.
Doch auch mit der anderen Sicht auf der Dinge halten sich die Hoffnungen der Kubaner in Grenzen. Die Jüngeren unter ihnen, die Generation der „Ernüchterten“, glaubt nicht an die Ideale der Revolution, mit denen sie aufgewachsen sind. Die Propaganda verfängt längst nicht mehr angesichts der sich vermehrenden Widersprüche.
Die lausige Entlohnung, mit der niemand überleben kann, die vielen bettelnden Alten, die verfallenden Wohnviertel überall auf der Insel, die Unmengen von jungen Leuten, die das Land verlassen – die Perspektiven sind düster. „Ich lebe mein Leben jetzt, auf was soll ich warten?“, fragt eine junge angehende Ärztin. Sie darf das Land in Kürze verlassen, ja, sie muss. Denn sie musste sich zu Studienbeginn verpflichten, für zwei Jahre nach Venezuela zu gehen, um dort im Auftrag der Regierung zu arbeiten. Sie wird in diesen zwei Jahren 9000 US-Dollar verdienen. Sie freut sich, ins Ausland zu dürfen, auch wenn es in Venezuela derzeit gefährlich zugeht und ein Bürgerkrieg nicht auszuschließen ist. Das Geld möchte sie in Kuba investieren, oder ganz ins Ausland gehen, sie weiß es noch nicht.
Diese Unsicherheit, der Mangel an Perspektive und Vertrauen, herrscht überall in Kuba. Und mancherorts winken sie nur noch ab und halten sogar die historische Annäherung zwischen Obama und Raul Castro für Propaganda. „Hört auf damit! Das ist doch eine Erfindung der Partei!“, schimpft ein alter Mechaniker in Santa Clara, und wedelt mit einer zerknitterten „Granma“. „Das machen die doch nur, um die Leute zu beruhigen. Glaubt ihr wirklich, hier ändert sich was? Hier ändert sich nie was!“ Und hinter ihm, an den Wohnblocks am Sandino, leuchtet weithin lesbar die Schrift: „Socialismo o muerte“ – „Sozialismus oder Tod!“

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